St. Petersburg – Zwiebeln in allen Variationen

St. Petersburg – Zwiebeln in allen Variationen

Isaak-Kirche, Kasaner Kirche, Smolny-Kirche, Blutskirche … Ob Peter oder Alexander oder Nikolaj: Jeder Zar, der was auf sich hält, muss mal eine Kirche bauen. Und sich mit möglichst viel Fantasie und mehr oder weniger Geschmack vom Vorgänger abheben. So entstand wohl die Isaak-Kirche, mit einer nicht ganz gelungenen Mischung von griechischem Tempel und Zwiebeltürmen.

 

Oder die Kasaner Kirche. Ein Petersdom in klein, mit unzähligen Säulen, Malereien, Bildern und Ikonen. Ein Tagesausflug für sich. Während sich die Bebbin umschaut und versucht, weder Nikolaj noch ihre beiden Mit-Schäfchen aus dem Augenwinkel zu verlieren, erblickt sie eine lange Schlange von Frauen, alle mit Kopftüchern à la russe. Die Kopftücher wären übrigens Pflicht, aber das schadet der Frisur …

Nikolaj klärt seine Truppe über die Warteschlange auf. Es gibt etwas gratis, nämlich ein Wunder! Die Bebbin zögert. Soll sie sich einreihen, sich ein Kopftuch von der Vorderfrau leihen, die wundersame Ikone berühren und den Heiligen um einen besonders gelungenen Blogartikel bitten? Angesichts der fortgeschrittenen Stunde und der Urangst des Pauschalreisenden verzichtet sie schweren Herzens auf ein ureigenes Wunder. Das wird sie eben selbst erschaffen müssen.

Der Bebbin hat es die Smolny-Kirche angetan. Blau und weiss, mit vergoldeten Zwiebeln, sieht sie aus wie eine überdimensionierte Hochzeitstorte, die man bei jeder Fahrt in die Stadt und wieder hinaus von Weitem in der Sonne strahlen sieht.

„Hochzeitstorte?“ Wie ab und zu auf dieser Reise hat die Bebbin-Mama eine andere Ansicht. Und auch der Meenzer hebt die Augenbraue. „Wie wärs mit Kirche?“

Die Bebbin seufzt. Ja, vielleicht hat sie ein bisschen übertrieben. Ein kleines bisschen.

Wie das mit Pauschalreisen ist, geht es gleich weiter. Eine Kaffeepause in der Stadt? Kommt nicht in Frage. Ein zu langer Blick auf die eine oder andere Zwiebel? Und schon ist der Pauschalreisende zum Individualreisenden mutiert. Der Meenzer hat es gut. Vor dem Gedränge der Blutkirche behält er den Überblick und die kostbare Sicht auf Nr. 6. Die Bebbin aber begeht den gefürchteten Fehler: Sie staunt und schaut und knipst und da! Meenzer weg, Bebbin-Mama weg, Gruppe weg, Nikolaj weg und nur seine körperlose Stimme hallt durch das Audiofon!

Panik flammt auf. Doch wie durch ein Wunder taucht von irgendwo die Bebbin-Mama auf. Sie weiss auch wohin der Meenzer verschwunden ist und, nicht unwichtig, wohin die Gruppe davongezottelt ist. Die Bebbin atmet auf, ihr Puls beruhigt sich. Das Wunder hat ganz ohne Schlangenstehen geklappt. und sie kann sich auf die grausige Geschichte der Kirche mit ihrer typisch russischen Architektur wieder besinnen.

Alexander II. war ein Herrscher, der es mit seinen Leuten gut meinte. 1861 hob er die Leibeigenschaft auf. Das Land sollte gerechter verteilt werden. Doch da machte er die Rechnung ohne seine Verwaltung. Zahlreiche befreite Bauern gingen leer aus. Sie waren frei, sich wieder zu verdingen. Verärgerte Liberale taten sich zusammen und damit war das Schicksal des Zaren besiegelt. Eines nicht ganz schönen Tages im Jahr 1881 fuhr er nichtsahnend mit der Kutsche den Gribojedow-Kanal entlang und da! Eine Explosion, Holz, Metall, Räder fliegen durch die Luft. Eine Bombe! 

An der Stelle des Attentats wurde die Kirche 1881 errichtet. Wir verlassen den Ort mit gemischten Gefühlen. Was ein Mord alles bewirken kann.

Ein Gedanke zu „St. Petersburg – Zwiebeln in allen Variationen

  1. Ich musste es mal googeln, da immer wieder erwähnt und ohne Erklärung für die daheimgebliebene Bebbin….:“ Ein Zwiebelturm ist ein Turm mit einer Zwiebelhaube oder einem Zwiebelhelm, z. B. ein Kirchturm, dessen Spitze in Form einer Zwiebel gearbeitet ist. Der untere Teil der Spitze ist bauchig und läuft nach oben spitz zusammen“. Wikipedia sei Dank, ich verabschiede mich weitergebildet von diesem Tag. Schlaft alle gut!

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