Isländisches Genie
300 bis 400 Km je nach Variante. Was stellt sich das Reisebüro eigentlich vor? Ein Island-Marathon der besonderen Art?
Es gibt die langweilige, der Ringstraße nach, die ohne Halt einfach durch die Landschaft führt. Es gibt die Küsten-Variante mit einem Landzipfel und die Küsten-Variante mit zwei Landzipfeln. Wir wählen die mit einem Zipfel und das erweist sich als weiser Entscheid.
Nach einem ausgedehnten Frühstück im überfüllten Raum – wir kommen in direkten Kontakt mit pensionierten Bernern, die keine der drei Varianten nehmen wollen und sich auf die Schwimmbäder Islands spezialisiert haben – fahren wir im altbekannten Nieselregen los. In der Ferne leuchtet ein dicker Regenbogen und lässt uns auf bessere Zeiten hoffen. Unser Plan ist klar. Es gibt heute einen japanischen Tag. Fahren, aus dem Auto hüpfen, fotografieren, ins Auto hüpfen und weg.
Der erste Fototermin liegt keine Viertelstunde entfernt: Ein herrlicher, fetter Foss, in welchen, der Sage nach, der damalige isländische Führer eine Götterstatue hineinwarf, als sich Island zum Christentum bekehrte. Ob die Götter das schätzten, ist nicht überliefert. Leider haben wir gerade kein passendes Objekt zur Hand: Gerne hätten wir den Wind weggeopfert. Wir hüpfen aus dem Auto, knipsen, hüpfen rein und weg sind wir.
Akureyri liegt am Anfang eines tiefen Fjords, das blau und still zwischen sanft ansteigenden Hängen ruht. Im Hafen ein Kreuzfahrtschiff, kleine Vergnügungsboote, ein Fischkutter.
Die Sonne leuchtet über die über hundertjährigen Holzhäuser der ersten Siedler, das Gras ist so grün, die Fußgängerzone gesäumt von bunten Häusern mit weiß gestrichenen Fensterrahmen und Erkern. Ein Ort zum Verweilen, aber… Wir hüpfen aus dem Auto, knipsen hier, knipsen dort, hüpfen rein und sind weg.
Da beginnt der Anstieg um den erwähnten Landzipfel herum. Die Strasse schlängelt sich harmlos den Berg hinauf, während sich mit jedem Kilometer die Wolken immer mehr den Berg hinunterbewegen. Das Zusammentreffen ist hart. Die vielgepriesene Küstenlinie verschwindet ins Nichts, die Kurven der Strasse auch, die gelb gestrichenen Pfosten links und rechts sind unsere einzige Orientierung. Aussichtspunkte tauchen zu spät aus der grauen Suppe auf und sinken dorthin zurück. Der eisige Wind hebt hie und da einen Zipfel Wolken. Die Bebbin erspäht ein Stück Klippe, das Weiß der Brandung, und dort einen Wasserfall, der sich über die Klippen ins Leere stürzt.
Der Meenzer sieht nichts. Nur das graue Band, das unser Wagen auffrisst und das graue Nichts. Endlos kurven wir der vermuteten Küstenlinie entlang bis die neue Herausforderung auftaucht. Ein Tunnel! Aber was für eins. Unerhört, noch nie gesehen. Ein einspuriger Tunnel. Vor dem Eingang, Angaben auf gelben Tafeln, auf Isländisch. Wir wagen uns hinein und bald schließt sich das rohe Gestein um uns. Im Halbdunkel sehen wir die Rücklichter des vorausfahrenden Wagens. Plötzlich: Scheinwerfer! Wir werfen uns in die nächste Bucht und lassen den Geisterfahrer vorüber. Er hat nämlich Vorfahrt. Und wir die Ausweichbuchten. So geht das nervenaufreibende Spiel für zwei, drei Kilometer weiter, bis wir erledigt und erleichtert wieder ans Tageslicht gelangen. Doch zu früh gefreut. Ein Tunnel, und das Spiel fängt wieder von vorne an! Die haben einen besonderen Sinn für Humor, die Isländer.
Endlich ist der Landzipfel umrundet und fängt die lange Fahrt, den Fjord entlang, nach Süden an. Landschaft reiht sich an Landschaft, da ist nichts zu gucken. Und endlich taucht unser letzter Fototermin, unser Rettungsanker auf. Die Torfhütten von Glaumbaer.
In einer Reihe stehen die Hüttchen, vollständig mit Gras bewachsen, und in einem gelb gestrichenen Holzhäuschen gibt’s Kaffee und Kuchen. Wir sitzen in einem nachgemachten Wohnzimmer an einem Tischchen mit gehäkelter Decke, in der Ecke steht das Harmonium, alte Familienfotos blicken uns an, in einer anderen Ecke eine Frauenfigur in alter Tracht und an den Tischen lauter Schweizer. Isländischer Kaffee kommt in altem Kaffeegeschirr, wir fühlen uns wie bei den Großeltern zu Hause.
Wir gönnen uns diese ganz unjapanische Pause. Und danach noch einen Gang durch das Gewirr der kleinen Torfhäuser, die ganz unerwartet untereinander verbunden sind.
Schlaf- und Arbeitsräume, Küche, Lagerräume, ganz ohne Heizung und mit Fensterchen, vor denen das Gras zittert. Ein eigenartiges Leben.
Nach vielen weiteren Kilometern erreichen wir unsere heutige Unterkunft. Wie die bei booking.ch zu einer Bewertung von 8.2 kommen, ist schleierhaft. Das winzige Zimmer geht auf den Hinterhof und auf grünes hügeliges Nichts. Aber wir sind hart im Nehmen.
Das Abendessen ist keiner Rede wert. Aber besser noch: Das Gästehaus ist dem Pferd gewidmet. Pferdebilder gemalt und aus Filz, Hufeisen an den Wänden, ein Zimmerschlüssel mit Pferdekopf, Pferdedecke auf dem Bett, selbst der Salz- und Pfefferstreuer sind Pferde und der Serviettenring ist aus Stacheldraht. Zum Abendessen gibt’s: Pferdefleisch.
Nach dem langen Tag nicht gerade ein Highlight. Aber wir tragen es mit Fassung. Ein kleiner Ausrutscher in dieser ganzen Reihe schöner, gemütlicher, familiärer Unterkünfte. Was macht das schon. Während der Wind draußen wieder um die Hütte stürmt, haben wir es schön warm und trocken. Und morgen ist ein anderer Tag und ein anderer Abend.