Ein Tag am Abgrund

Ein Tag am Abgrund

Liebe Leserin, lieber Leser

Als die Bebbin heute Morgen aus dem Fenster sieht, traut sie ihren Augen nicht. Der Himmel ist noch etwas blass und schwach, aber ohne nennenswerte Wolken. Es ist der perfekte Tag für unser heutiges Vorhaben.

Gestern noch hatte die Bebbin gezweifelt und insgeheim gehofft, Petrus hätte ein Herz für sie. Aber sein Herz schlägt höchstens für echte Basler und auch nur an der Fasnacht. „Schatz, wir müssten uns vielleicht eine Alternative überlegen, falls es morgen regnet. Wie wär’s mit einem Museum?“, hatte sie mit dem Zaunpfahl gewunken. Aber diesmal hatte sich der Meenzer nicht locken lassen. „Ich fahre doch nicht 150 Kilometer von zu Hause weg, um den ganzen Tag im Hotel rumhängen. Wir machen die Schlucht. Schluss.“ Es hilft alles nichts. Es steht uns also eine zweistündige Wanderung durch die Areuse-Schlucht bevor.

Wir lassen uns vom Navi nach Champ-du-Moulin geleiten. Ein Bahnhof mit einem Gleis, ein Haus, sonst nichts. Eine Parkmöglichkeit gibt es auch keine, ausser halb im Gestrüpp. Niemand wird hier je am Bahnhof abgeholt. Wir parken also im Gestrüpp, schnüren die Wanderschuhe und ziehen los. Gleich am Anfang des Flüsschen, das grosse Ähnlichkeit mit der Birs aufweist, steht ein schmuckes Hotel im Schutz der Waldhänge. Holztische laden draussen zum Verweilen ein und innen faltet der Wirt gerade hingebungsvoll Servietten. „Hier hätten wir übernachten sollen, statt in La-Chaud-de-Fonds“, bedauert der Meenzer. Die Bebbin ist für einmal mit ihm einig. „Zumal unsere geplante Stadtbesichtigung sich auf zwei Strassenzüge und ein Restaurant beschränkt hat.“

Unter uns gesagt, wir haben dort nichts vermisst. Und leider keine Zeit gehabt, die Badewanne vor dem Bett auszuprobieren.

Wir dachten, wir hätten die leichte Variante gewählt. Bachabwärts, ganz gemütlich. Ja nichts, was an die Rheinquellen-Tour erinnern könnte. Aber weit gefehlt. Bald zeigt sich die Areuse von ihrer wilden, gefährlichen Seite. Und nach dem vielen Regen auch von einer rutschigen… Der Bach strömt und schnellt zwischen Felsbrocken, stürzt hier ein Wehr hinunter, quetscht sich dort zwischen Felsen hindurch und wir stolpern und rutschen ihm nach.

 

Es geht Stufen hoch und wieder runter, mit Lehm überzogen, direkt am Abgrund. Über unseren Köpfen tropft das Gestein, die hölzernen Geländer wackeln gefährlich. Die Tiefe ruft. Aber wir stellen uns taub. Wir werden es Euch nicht vorenthalten: Wir haben natürlich drei Stunden gebraucht. Aber gerne empfehlen wir euch diese Wanderung – vorzugsweise an einem Sommer-Dürre-Tag.

Endlich können wir zum wirklich gemütlichen Teil des Tages übergehen. Der Creux du Van. Wir haben nämlich in weiser Voraussicht die leichte Variante gewählt. Mit dem Auto direkt zum Abgrund oder fast. Die letzten fünfhundert Meter legen wir zusammen mit einer aufgekratzten Kaffee-und-Kuchen-Gesellschaft ehrwürdigen Alters zurück. Wir sind immerhin schneller dort, wo es nicht mehr weitergeht. Der Meenzer gibt alles, um Euch einen Eindruck zu vermitteln. Und die Bebbin hat wieder mal einen guten Rat zur Hand: Macht nicht den gleichen Fehler. Geht morgens hin. Dann seht ihr was von diesen Felsen.

Wir beenden den Tag mit einem Abgrund der anderen Art. Im Maison de l’Absinthe blicken wir tief ins Glas und versuchen herauszufinden, was die Leute an der grünen Fee so toll fanden. Ohne Erfolg. Vielleicht hätten wir doch statt des Biers mit Absinth und des Eierlikörs mit Absinth diese drei Degustations-Gläschen nehmen sollen…

Und wie es mit Feen so ist: Sie hat sich verflüchtigt, bevor wir sie abknipsen konnten.

Eure Bebbin und Meenzer

2 Gedanken zu „Ein Tag am Abgrund

  1. Hallo Carine, hallo Frank,
    ich denke, in dem abgebildeten Hotelzimmer kann man es doch ‚mal einen Tag lang aushalten, wenn das Wetter allzu schlecht ist.
    Allerdings ist es der wild-romantische Bachlauf auch wert, bei schlechtem Wetter erkundet zu werden.
    Das Flugblatt aus dem Jahre 1910 wirft ein ganz neues Licht auf die Blaukreuzler. Die scheinen mir nicht nur absinth- und alkoholfeindlich, sondern auch frauen- oder doch zumindest feenfeindlich zu sein. Bemerkungen über „Grüne Männchen und Frauchen“ möchte ich mir vor der Bundestagswahl in Deutschland allerdings ersparen.
    Ich wünsche noch einen schönen Urlaub und freue mich schon auf Euren nächsten illustrierten Newsletter.
    Viele Grüße,
    Gerald.

  2. Danke für diesen Bericht und den schönen Bildern!
    Gut seit ihr von eurem individuellem Abtauchen wieder auferstanden, wäre ja jammerschade nix mehr lesen und sehen zu können….echt jetzt: gebt euch Sorg auf eurem Weg und ich freue mich auf weitere Berichterstattungen ;-)!
    Lg
    Anne

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