Bell Island
Samstagmorgen um sieben. Tief hängen die Wolken wieder über die Hügel. Wenn das Bagel Café nicht locken würde, würde sich der Meenzer nochmal im Bett umdrehen und selbst die Bebbin hätte nichts dagegen. Aber es müssen Prioritäten gesetzt werden.
„Heute geht’s auf die Insel“, deklariert der Meenzer vor seinem Bagel getoppt mit einem Berg von gebratenen Kartoffelwürfeln.
Die Bebbin, noch nicht ganz wach und sehr mit der interessanten Kombination von gebratenem Speck und Brüsseler Waffeln beschäftigt, murmelt in ihren Tee: „Sind wir nicht schon auf einer Insel?“
Eine rein rhetorische Frage, versteht sich. Denn der Plan steht längstens fest. Und erst recht, wenn es – wie an diesem Morgen – tatsächlich mal nicht regnet. Nichts. Nicht mal ein Nieselregenchen.
Unser Durchhaltewillen wird heute mehrfach belohnt werden. Doch geht’s zunächst ab auf die Fähre. Ein kurzer windiger Trip über die Conception Bay. Und dann setzen wir die Räder auf neues Land: Bell Island.
Die Insel hat, von Heuschnupfen-Gräsern und löchrigen Strassen abgesehen, ein paar Highlights zu bieten. Wir gehen in den Untergrund. Eine Tour durch eine stillgelegte Eisenmine zum Beispiel. Feucht, kalt und dunkel. Zu Anfangszeiten im frühen 19. Jh. noch mit Kerzen auf der Strickmütze beleuchtet. Mit steil abfallenden Stollen, durch welche die tonnenschweren Karren gezogen wurden. Mit Pferden, die erst nach 30-tägiger Schicht wieder ans Tageslicht durften; mit Augenbinde, um nicht zu erblinden.
Ein mulmiges Gefühl erfasst uns. Die Dunkelheit ist das eine. Das andere: Über uns Millionen von Tonnen Gestein. Und der halbe Ozean, denn: Wir befinden uns unter dem Meeresboden. Hoffentlich tut sich da nicht aus Versehen eine Ritze auf, irgendwo. Es gibt ja schon reichlich Regenwasser, in welches die Milliardäre dieser Welt gerne mal abtauchen.
Die Mine wurde 1966 geschlossen, aber nicht, weil ihnen das Eisen ausgegangen wäre. Sondern, weil Labrador eine Nasenlänge weiter war. Übertagebau. Einfacher, gewinnbringender. Und bereits Festland. Hunderivalitäten eben.Als wir das Tageslicht wieder erblicken, staunen wir nicht schlecht. Sonne! Wir ergreifen die Gelegenheit, uns auf diesen paar Quadratkilometern mehrmals zu verfahren, bevor wir das Lighthouse erreichen. Dieses ist eine gedrungene und eckige Enttäuschung.
Die Klippen aber… Ein Traum!
Dann begehen wir den Fehler, den Felsen sehen zu wollen, der dieser Insel den Namen gab. Keine Strassenschilder, keine Wanderzeichen. Dafür Schotterpisten, dann ein Wiesenpfad voller abgrundtiefer Pfützen. Gras, Wind, in der Ferne das Meer und hoffentlich auch innert nützlicher Frist die berühmte felsige Glocke. Die Distanz? Entgegenkommende Einheimische warnen uns vor den Pfützen; ob wir dort auch noch unsere Zelte werden aufschlagen müssen, können sie aber nicht sagen. Zeit ist in Neufundland kein gängiger Begriff.
Dann schreckt der Meenzer die Bebbin auf: „Die letzte Fähre geht um fünf.“
Super. Die Bebbin wirft einen Blick auf die Küstenlinie, ihre kurzen Beine und bleibt stehen. „Wenn wir die Glocke nicht in den nächsten zehn Minuten gefunden haben, kehren wir ohne sie zurück. Punkt.“
Wir haben Glück. Die Glocke ist, zusammen mit dem unsäglichen Leuchtturm, den Klippen und den düsteren Stollen im Kasten. Wir haben unser Touristen-Soll erfüllt und können damit unseren Inselhopping-Tag glücklich beenden.