Vom Kurort zum Ort des Wissens

Vom Kurort zum Ort des Wissens

Sonntag, 02.07.2023. Der Himmel hat die Farbe gewechselt und hält sich wieder an die düsteren Prognosen. Plan A gerät ins Wanken und Plan B hält sich so bedeckt wie der Pizol, auf den wir – natürlich mit der Seilbahn – hinaufwollten. Damit hätten wir den Blitzbesuch am östlichsten Rand der Schweiz abgerundet. Aber eben. Wir flüchten in den Frühstücksraum, um Kräfte für ein kreatives Brainstorming zu sammeln.  Nach dem ersten Cappuccino, den sie in der arg kleinen Tasse bebend an den Tisch zurück balanciert hat, macht die Bebbin den Anfang. Irgendwo muss man ja den Faden aufnehmen. „Wie wäre es…“.

Der Meenzer hebt eine Braue. „München vielleicht?“

„Seit wann hast du was gegen ein gutes Maß Bier?“, stichelt sie, aber als er den Handschuh nicht aufnimmt, fährt sie fort: “Kloster Einsiedeln?“

Endlich hat er eine Aufgabe. Er klappt das Tablet auf. Minuten später, die ernüchternde Erkenntnis. Die paar übrig gebliebenen Klosterbewohner feiern den Sonntag. Und es ist kein Museum.

Am Tisch herrscht vorübergehende kreative Stille. Dann nimmt die Bebbin einen zweiten Anlauf, denn einer Massage mit heißen Steinen in der hiesigen Wellnessoase fehlt für sie beide eindeutig die nötige Anziehungskraft.  „Wie wär’s dann mit Sankt Gallen und seiner weltberühmten Bibliothek?“ Nur eine Autostunde entfernt und sozusagen auf dem Rückweg.

Wir kehren dem Alpenrhein, dem unsichtbaren Hausberg und den lustigen Kunstwerken den Rücken und fahren also zum Geburtsort der St. Galler Bratwurst, ohne Senf, bitteschön, wo es auch nicht an Humor fehlt.

Wie sich herausstellt, ist die Stiftsbibliothek so berühmt, dass sie auch am Sonntag offen hat. Und wer noch nie da war, der muss sich auch nicht beeilen. Die gibt es seit über 200 Jahren und wenn der Rheintalgraben ruhig bleibt, dann wird sie auch noch innerhalb der nächsten 200 Jahre zu besichtigen sein.

In Filzpantoffeln schlurfen wir zusammen mit ein paar dutzend Besuchern aus der übrigen Welt über das alte Parkett und können kaum glauben, dass diese uralten Bücher noch nicht zu Staub zerfallen sind.

Doch besonders dieser Globus hat es der Bebbin angetan, denn tatsächlich gab es schon im 10. Jahrhundert Menschen wie einen gewissen Notker, der Deutsche, die ihrer Welt weit voraus waren und bereits intuitiv verstanden, dass die Erde mehrdimensional ist. Und mit Freude entdeckt sie auf dem Globus ihre ehemaligen und künftigen Feriendestinationen – ein bisschen stilisiert, versteht sich.

Diese hat der Gründer der Stadt, der Mönch Gallus aus Irland, leider nie erkunden können. Denn der Gute ist auf seiner Missionsreise im damals wilden Osten krankheitshalber stecken geblieben. Er weigerte sich, mit seinem Chef nach Italien zu ziehen, baute sich seine eigene Hütte und stellte einen Bären als Mitarbeiter ein. Die Zusammenarbeit war so erfolgreich, dass seine Hütte zu einer WG wurde, diese zu einem Kloster und das Kloster zu einer Stadt. Sankt Gallen.

Bereichert mit diesem neuen Wissen, beenden wir den Blitzurlaub in einer Gegend, die selbst der Bebbin erschreckend neu war. Bad Ragaz, ein Ort, der dank einer warmen Quelle Berühmtheit erlangt hat; Sankt Gallen, eine Stadt des Wissens, die ihren Ursprung einem mutigen und entschlossenen Mönch zu verdanken hat.

Meenzer und Bebbin sind sich einmal mehr einig. Dort, wo Väterchen Rhein seine Spuren hinterlässt, sind auch wir. Immer wieder.

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