Höhere Gewalt

Höhere Gewalt

Es ist soweit. Der Rest der Reisegesellschaft wird an diesem Samstagabend zu uns stossen.

Wir geniessen ein letztes Abendessen zu zweit. Im Hotelzimmer beenden wir den letzten Bericht, spielen eine Runde Scrabble und kurz vor 22 Uhr geht’s los. Die Freunde abholen. Ankunft gemäss Air Canada: 22.17 Uhr. Wir fahren aus der Tiefgarage und … Oh weia!

Nebel, dicht wie Erbsensuppe, empfängt uns. Angespannte Stille senkt sich über den Wagen. Der Meenzer hat Augen nur für den Vordermann und seine roten Lichter und sonst nichts. Die Strassenschilder verschwinden ins Nichts. Die Windschutzscheibe beschlägt sich. Die Bebbin wirft das Gebläse an. Besser wäre eindeutig, wenn man den Nebel wegpusten könnte.

In der Ankunftshalle herrscht Totenstille. Drei weitere Gestalten hinter den bekannten Masken stehen herum. Der Empfangsschalter ist verlassen. Wir checken die Anzeige. Arrival on time. Alles paletti.

Um 22.36 Uhr wird die Bebbin unruhig. Hinter der Glastüre regt sich nichts. Die Transportbänder schlafen. Keine Angestellten in Sicht. Sie schlendert zur Anzeige und erstarrt. Flug AC 690: DV.

DV? Das ist die lapidare Erklärung zu einem nicht ganz unwichtigen Fakt. Umgeleitet. Nach Montreal. Neue Ankunft in Neufundland: 02.13 Uhr.

Das Empfangskomitee kommt in Bewegung.

„Ich warte“, sagt der Meenzer, der die Oberhoheit über die Autoschlüssel und damit über den Bewegungsradius unseres Gefährtes hat. Und sein Tablet, d.h. sein Strategiespiel bei sich hat.

„Über drei Stunden lang hier sitzen?“ Die Bebbin blickt sich um. Die drei anderen Maskierten sind verschwunden. Vernünftige Leute. Die Halle ist leer.

Der Meenzer outet sich. „Ich will nicht wieder eine halbe Stunde durch diesen Nebel zurückfahren.“

Die Bebbin sucht nach dem k.o. -Argument. „Klar, Schatz, will ich auch nicht. Aber … was wenn die Ankunft weiter verzögert wird? Willst du die ganze Nacht auf diesen Sitzen verbringen?“

Sehr widerwillig und auch, weil er als echter Gentleman seine andere Hälfte nicht in ein Taxi setzen will, gibt der Meenzer nach. Und kaum im Hotel angekommen, stellt sich das heraus, was die Bebbin befürchtet hatte. Ankunft: 03.30 Uhr.

Wir gehen ins Bett. Stehen um 3 Uhr schlaftrunken auf und fahren durch den gelichteten Nebel zurück zum Flughafen.

Sie sind da. Und schuld an der ganzen Misere war … der Nebel. Noch im Landeanflug startete der Pilot durch. Fast drei Stunden nach Montreal, tanken, drei Stunden zurück.

Der Nebel ist es auch, der uns am nächsten, pardon, am gleichen Tag auf unserer Kurzwanderung zum Signal Hill die ungehinderte Aussicht auf Hafen und Stadt erschwert.

Nebst unserem Schnaufen und dem Schrei der Möwen ist nur noch das Nebelhorn des fernen Leuchtturms zu hören. Hier und da taucht die Landschaft blitzartig auf und verschwindet wieder.

Wir erhaschen einen Blick auf den Entdecker von Neufundland, ein gewisser John Cabot, der 1497 als erster Tourist den Fuss hierher setzte.

Geisterhaft zeichnet sich vor uns ein Turm aus dem Nebel ab. Ein denkwürdiger Ort. Von diesem Hügel aus wurde am 12. Dezember 1901 das erste Funksignal der neuen Welt an die alte Welt gesendet.

Heute sendet ein wieder auferstandener Soldat aus der Zeit der Kriege zwischen den Franzosen und den Briten nur noch ohrenbetäubende Schüsse ins Nichts – zur grossen Freude insbesondere der männlichen Touristen…

Wir kehren zurück, bevor uns der Nebel für immer von der Bildfläche verschluckt. Alles nochmal gut ausgegangen.

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