Schreckliche Geschichten

Schreckliche Geschichten

Nach so vielen Wasserfällen dachten wir, dass uns nichts mehr aus den Wanderschuhen reissen konnte. Weit gefehlt.  Der Eindruck ist gewaltig. Hunderte kleiner Wasserfälle mitten in einer Felswand. Es sieht aus, als würde der Fels weinen. Zwischen zwei Lavaschichten eingeklemmt, führt das Wasser ein verborgenes Dasein, bis es hier mit sprudelnder Lebendigkeit ans Licht der Welt tritt und sich zu einem einzigartigen Wasserfall vereinigt.

Wir staunen und lassen uns vor lauter Begeisterung zu einem weiteren Filmchen hinreißen. Allerdings vom Brunafoss, dessen Wasser von eng stehenden Felswänden eingequetscht unter einer natürlichen Brücke in die Tiefe tost.

Eine schreckliche Geschichte begleitet den armen Foss. Einst lebte hier eine Bauernfamilie. An einem Weihnachtsabend ging die Familie in die Kirche und ließ zwei Kinder im Haus zurück. Als die Familie nach Hause kommt, sind die Kinder verschwunden. Spuren führen zum Brunafoss. Das Schicksal hat die Kinder ereilt.

Erschüttert trösten wir uns mit einem Eis und fahren nach Borgarnes. Eine Stadt mit einem Café, in dem wir wie bei der Oma auf einem Sofa sitzend einen ausgezeichneten Cappuccino schlürfen.

Danach ab ins Museum. Ein Audioguide führt uns durch die Geschichte von Islands Besiedelung und dann durch die Saga von Egill Skallagimsson, der im 10. Jahrhundert lebte, mit drei Jahren sein erstes Gedicht schrieb, mit sechs Jahren seinen Kindergartenkumpel umbrachte, seinem Vater das Leben schwer machte und den Norwegern auch. Dass dieser Raufbold auch ein berühmter Poet geworden sein soll, ist schwer nachvollziehbar. Die Bebbin verzichtet auf das Buch der ganzen Saga und kauft leichtere Kost. Märchen und Sagen aus Island.

Damit ist die heutige Tour auch schon am Ende gelangt, wir machen uns auf die Suche nach der Unterkunft und finden sie in einem alten isländischen Holzhaus mit knarrenden Holzböden unter den dicken Teppichen, mit Sofas aus Grossmutters Zeiten, einem Zimmer, in welchem die Koffer oder wir Platz haben, eins von beiden, dafür auf den Regalen englische Literatur. Und mit Blick auf einen lahmen Fluss und in der Ferne die kahlen Berge.

Das Abendessen? Suppe und Brot. Wir reißen die Augen auf und erwägen ernsthaft die Möglichkeit, die zehn Kilometer zur Stadt wieder unter die Räder zu nehmen.

«Ich mag nicht mehr fahren!», begehrt der Meenzer auf.

Die unausgesprochene Wahrheit ist aber: Nach langer Abstinenz will er endlich mal was Rechtes trinken. Das ist in diesem Land gar nicht so einfach und nur abends zu realisieren.  Die Bebbin zögert nicht. Aus der Küche dringen feine Gerüche, die Frauen sind nett, die Atmosphäre so, als wären wir bei den Leuten zu Hause. Wir bleiben. Unser Notvorrat aus dem Netto und dem Vinbudin wartet im Zimmer auf uns …

Das Essen im gemütlichen Wohnzimmer ist unerwartet lecker. In der Lachssuppe schwimmen dicke Lachsstücke und Karottenscheiben, in der Lammsuppe hat sich das Lamm in Tausend Fäden aufgelöst, schmeckt aber ausgezeichnet, meint der Meenzer. Das selbst gemachte Brot, groß wie ein Wagenrad, ist knusprig und feucht und voller gesunder Kerne. Das Dessert, selbstgemachtes Eis (Karamell, Vanille und Blaubeeren) ist ebenfalls köstlich. Wir erleben einen Moment echter isländischer Lebensart und bereuen nichts..

Wir beenden den Abend mit dem Notvorrat aus dem Vinbudin und einem guten Buch, während draussen der Fluss zwischen den Schafweiden im nördlichen Abendlicht ein letztes Mal aufleuchtet.

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