Schöne Aussichten
Liebe Leserin, lieber Leser
Unsere bisherigen Berichte mögen den Anschein erwecken, dass es im Aostatal nur zwei Arten von Betätigungen gibt: Essen und Trinken oder Wandern. Beides mit gewissen physischen Hürden verbunden. Das müssen wir also noch ein bisschen korrigieren. Es gibt nämlich noch was: Burgen.
Wir stimmen Euch zu, dass, wir schon die eine oder andere besichtigt haben und altes Gemäuer nicht jedermanns Sache ist. Doch es ist wie mit den Wasserfällen. Keine Burg gleicht der anderen. Unsere Liste ist daher noch nicht abgehakt.
Das Gute an den hiesigen Burgen ist, dass sie im Gegensatz zu unseren heutigen Behausungen für die Ewigkeit gebaut wurden und wenn die Eigentümer sich ein bisschen darum gekümmert haben, die Ewigkeit auch ziemlich lang dauert.
Die Burg von Fenis ist ein Paradebeispiel dafür. Eine super Lage, ganz ohne nervige Nachbarn. Eine Rundumsicht auf potenzielle Störenfriede, die es auf Fenis nie gegeben hat. Klar, bei diesen Mauern und dem ungewissen Inhalt derselben scheint sich die Mühe kaum zu lohnen.
Da gibt es noch andere, leichter erreichbare, mit Parkplatz davor, zum Beispiel.
Für Fenis muss man schon einen zehnminütigen Aufstieg auf sich nehmen. Und drinnen gibt es auch noch keine Lifte. Dafür eine sehr anschauliche zweisprachige Führung. Die Bebbin übernimmt wo nötig die dritte Sprache. Was ihr am Besten in Erinnerung bleibt? Das Himmelbett.
Es ist scheinbar kurz, aber der Bebbin kommt es lang genug vor. Wie wir alle wissen, haben die Leute im Sitzen geschlafen. Zumindest die Menschen, die ein Bett besassen. über den Grund wird noch diskutiert. Vielleicht, weil sie jederzeit zur Flucht bereit sein wollten, ein bisschen wie ein Pferd im Stehen schläft? Oder weil sie vor lauter Kaminrauch im Liegen fast erstickt wären und es sich aufrecht besser atmen lässt? Die letzte Variante gefällt der Bebbin am Besten: Weil die Seele aus einem fast wie tot liegenden Körper entweichen könnte. Schliesslich ist nicht ganz klar, ob die Seele die damalige Körpversprache beherrschte.
Und wenn wir schon dabei sind, geht es zurück zum Auto und weiter zur nächsten Burg.
Ach nein, dies hier ist ein Fort. Wie wir, nachdem wir die Kasse endlich gefunden haben, feststellen, muss auch Fort Bard kaum einen unerwünschten Besucher gesehen haben. Halb in den Felsen gebaut, thront er hoch über dem Örtchen mit einer imposanten Aussicht auf das halbe Tal.
Und um die Aussicht ohne überflüssige Anstrengungen zu geniessen, kann man sich durch eine Reihe mehr oder weniger vertrauenserweckende Lifte bis ganz nach oben fahren lassen.
Aber es geht noch höher.
Zu diesem Zweck nehmen wir 1.5 Stunden Autofahrt, Richtung Breuil-Cervinia, auf uns. Das Wetter in Aosta ist prächtig. Ein paar Cumulus hängen malerisch vor blauem Grund. Endlich Sonne. Die Wetteraussichten sind ganz gut. Der Meenzer hat nachgesehen. In Breuil liegt kein Schnee. Die Bebbin fragt nicht weiter. Das war vielleicht ein Fehler.
Wir stehen in Breuil, das in puncto Hässlichkeit gewissen Skiorten in der Schweiz in nichts nachsteht, an der Kasse der Gondelbahn. Und da fangen die Probleme an.
„Zwei Tickets für Plateau Rosa“, sagt die Bebbin in bestem Italienisch.
Die Kassiererin hebt die Augenbrauen. „Wirklich?“
Wir fragen uns kurz, ob wir aus Versehen eine Fahrt zum Mars kaufen wollten.
Die Frau dreht ihren riesigen Bildschirm zu uns. „Das sind die aktuellen Bilder der Webcam.“
Wir beginnen zu verstehen. Die Landschaft sieht ein bisschen aus wie der neuste Schrei an der Art Basel aussehen könnte. Weiss-grau. Ein paar Felsen, ein kurzer Lichtstrahl und dann nichts.
Die Bebbin hatte nicht mehr daran gedacht, dass das Wetter in den Bergen ähnlich ist wie die aktuelle Politik in einem allseits bekannten, nicht mehr ganz so grossartigen Land ist. Unbeständig.
Wir beraten uns mit der Kassiererin, erwägen, noch höher zu fahren, aber ehrlich gesagt, das kostet ein Vermögen und das nur, um einen sekundenlangen Blick auf irgendeinen Gipfel zu erhaschen?
Die Kassiererin ist echt nett und kein bisschen verkaufsorientiert. „Ich denke, es lohnt sich nicht.“
Das gibt den Ausschlag. Wir kaufen zwei Tickets nach Plateau Rosa und wisst Ihr was?
Sie hatte fast recht.
Wir stehen in Wind und Schnee auf einer Plattform. Da gibt es nichts anderes als die Gondel zum kleinen Matterhorn und einen einsamen Lichtstrahl, der eine Felswand sekundenlang zum Leuchten bringt. Dort irgendwo versteckt sich das weltbekannte Schweizer Symbol.
Wir haben es dennoch nicht bereut. Denn zum einen haben wir einen persönlichen Höhenrekord gebrochen. 3500 m ü. M. Und so nahe an so vielen Viertausendern wie noch nie.
Zwei Sekunden später hat uns der Nebel verschluckt und wir fahren im Schneegestöber zurück ins Tal, wo man für einen Bruchteil des Geldes auch ganz viele Aussichten hat.
Eure Bebbin und Meenzer