Lebendige und steinerne Welten

Lebendige und steinerne Welten

Auf das Meer treffen wir endlich wieder am Kap Dyrholaey. Felsen erstrecken sich düster in die glitzernden Wellen, die Brandung leckt am schwarzen Strand und durch jenes Loch im Felsen könnte gemäß Reiseführer ein Boot durchfahren. Wir fragen uns: ein Schlauchboot?

Auf der anderen Seite der Bucht wölbt sich eine natürliche Brücke aus Tausenden Basaltbrocken über die Tiefe. Natürlich nur für Leichtfüssige, Leichtfedrige.

Und während wir uns noch über die Kraft, die diese Brücke zusammenhält wundern, bleibt unser Auge an einem Flecken in Fels und Gras hängen.

Unglaublich aber wahr: Ein gedrungener Körper, ein runder Kopf, ein roter Schnabel. Er ist es. Ein Papageitaucher. Welch ein glücklicher Zufall! Und auch wenn die Tausend Bilder, die wir in der Hektik geschossen haben, unscharf sein sollten: Wir haben ihn gesehen. Ehrlich. Was kann das Herz noch begehren?

Mehr Steine vielleicht, die von den Behörden extra mitten in die Pampa hergeschleppt wurden, damit die Reisenden Türmchen bauen können. Millionen kleiner Türmchen aus zufällig zusammengesetzten Steinen strecken in einer Landschaft aus karger Erde, Stein und Wolken ihre Hoffnungen in den Himmel hinauf. Auch dieser Picknickplatz hat seinen Charme, scheinen sie zu sagen und vielleicht haben sie recht. Wenn nicht wieder der Wind wäre, welcher der Bebbin die Haare in den Mund steckt, statt des Sandwiches.

Aber Einöde ist nicht gleich Einöde. Auf einmal sieht das Land aus, als sei ein prähistorischer, dicker Teig wahllos darüber gegossen worden. Dicke, fette, übereinander gestülpte Wülste, bedeckt mit einer Schicht, als wäre ein Sandsturm über sie hinweggezogen, überziehen die Landschaft soweit das Auge reicht. Wir halten an, wo andere auch schon stehen, und entdecken des Rätsels Lösung: Steinbrocken, von Vulkanen oder vielleicht von Trollen wahllos hierher geschleudert, überwachsen mit Moos. Dickes, weiches, teilweise verdorrtes Moos. Betreten verboten. Aber wer will sich hier schon den Knöchel verstauchen? Das nächste Spital ist mit Sicherheit nicht um die Ecke …

Nach dieser seltsam ergreifenden Landschaft gelangen wir wieder in die Zivilisation. Ein paar Häuser, eine Tankstelle und ja, wieder mal ein Kreisel! Unser Navi führt uns zur letzten Sehenswürdigkeit des Tages, die Kirkjugolfid.

Hätte uns führen sollen. Aber nachdem wir im Garten eines Reihen-Einfamilienhauses gelandet sind „Sie haben Ihr Zwischenziel erreicht“ suchen wir das Zwischenziel selber aus. Die Kapelle in modernem isländischem Stil mit hohem, spitzem Dach und viel Glas hält nicht was sie verspricht, nämlich die 80 m2 Boden aus geschliffenen Basaltsäulen. Der sauber polierte Holzboden hat sie verschluckt.

Enttäuscht treten wir in den Nieselregen hinaus – wie unzuverlässig sind doch unser Navi, der Reiseführer und Gottes Abgesandte – und fahren in unsere heutige Unterkunft, einer kleinen roten Hütte inmitten eines sauberen isländischen Rasens, mit Birken, die im endlosen Abendlicht leuchten.

2 Gedanken zu „Lebendige und steinerne Welten

Schreibe einen Kommentar zu Gerald F. W. Müller Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert