Crime and Murder
Am nächsten Abend um acht stehen wir vor Kälte bibbernd vor Deacon Brodie’s Tavern an der Royal Mile. Das Wetter hat umgeschlagen. Der Wind jagt Abfälle vor sich her. Die Häuser sind starr und grau. Der Himmel hängt tief und düster. Das perfekte Setting für eine besonders gruselige Tour: Edinburghs ältester Friedhof und Edinburghs Unterwelt.
Die Gruppe ist gross und schon befürchtet die Bebbin, im Friedhof oder schlimmer noch in den Kellergewölben der Altstadt verloren zu gehen. Sicherheitshalber krallt sie sich den Meenzer und lässt ihn nicht mehr los.
Die Tour beginnt im Greyfriars Friedhof, der wegen Überbelegung längst nicht mehr benutzt wird. Wo früher eine Senke war, gibt es jetzt einen Hügel – aus menschlichen Überresten. Falls wir einen Knochen herausragen sehen sollen, können wir ihn gerne wieder sanft in seine ewige Ruhe zurückdrücken.
Für die Nervenschwachen unter euch: Es fand sich kein Knochen. Nicht einmal einer für den Geist des legendären Greyfriars Bobby, dessen herzerwärmende Geschichte wir euch später noch erzählen werden. Denn jetzt geht es um Dinge, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen!
Der Friedhof hat furchtbare Zeiten und furchtbare Exemplare der menschlichen Gattung erlebt. Grabräuber, zum Beispiel, die in tiefster Nacht nicht die Taschen der Verstorbenen leerten, sondern die Unseligen selbst ausbuddelten und im Interesse der Wissenschaft an die medizinische Fakultät Edinburghs für klingende Münzen verkauften. Ein besonders geschäftstüchtiges Trio, das eine Pension führte, kam sogar auf die Idee, das Geschäft auszuweiten. Wenige Pensionäre überlebten die Nacht. Erst nach Jahrzehnten erfolgreichen Handels flog die Sache auf. Einer erfuhr eine gerechte Strafe. Er wurde gehängt – und an die Uni verschenkt.
Zum Schutz gegen Grabräuber wurden deshalb die Verstorbenen hinter Gitter begraben. Es blieb nur zu hoffen, dass sie dann auch wirklich tot waren.
In einer anderen Ecke des Friedhofs steht ein zerbröckelndes Mausoleum. Insasse ist ein blutrünstiger, zutiefst gefürchteter Handlanger der englischen Krone zur Zeit des Protestantismus. Bloody Malcom hatte die schwere Aufgabe, jeden Protestanten, der ihm über den Weg lief, verhaften, hängen oder einsperren zu lassen. Da gab es aber ein kleines Problem. Das damalige Gefängnis Edinburghs verfügte nicht über die genügende Anzahl Betten. Malcolm kam auf eine glorreiche Idee. Er pferchte die Gefangenen einfach auf einer ummauerten Wiese in einem unbenutzten Teil des Friedhofs ein, verschloss den Eingang mit einem soliden Gitter und überliess die Sache dem schottischen Wetter. Nicht viele Gefangene überlebten die Ära Malcolm. Auch dieser hat aber seine Strafe gefunden. Jahrhundertelang blieb sein Körper unnatürlich intakt. Haare, Haut zierten den Leichnam. Und er war dazu verdammt, im Friedhof sein Unwesen zu treiben, jeden, der ihm zu nahe kam, mit Malen zu versehen, mit blutigen Kratzern und Wahnsinn zu beschlagen. Ob er zur Ruhe gekommen ist, können wir nicht sagen. Wir halten vorsichtshalber Abstand zu seiner letzten Unruhestätte.
Nach diesem ermunternden Friedhofbesuch folgen wir unserem jungen Leiter in weitere Abgründe der schottischen Hauptstadt: Die Vaults, Gewölbe, die sich in der Mauer der South Bridge selbst befinden. Wie man auf eine solch verrückte Idee kam?
Bevor die Brücke gebaut wurde, gab es keine Verbindung zwischen dem oberen und dem unteren Teil der Altstadt. Dazwischen lag eine übelriechende, krankheit- und und todbringende Schneise. Vieh wurde auf dem Weg zum Fleischmarkt dadurch getrieben. Aus den Mietskasernen auf beiden Seiten, in welchen die Ärmsten der Stadt hausten, wurde aus den Fenstern alles Mögliche direkt auf diesen Weg entsorgt. Die Überquerung dieser Schneise war ein Albtraum. So entsetzlich, dass Mary, Queen of Scots, eines Tages entschied, über dieser Kloake eine Brücke bauen zu lassen. Die Ingenieure hatten dabei eine super Idee. In den Bögen der Brücke fügten sie Kammern ein – die Vaults. Auf der Brücke entstanden Geschäfte und diese nutzten die Gewölbe als Lagerräume. Alles eigentlich ganz toll.
Es gab nur ein kleines Problem, denn die Brücke ist kein Meisterwerk der Ingenieurskunst. Die Gewölbe sind undicht!
Ihr könnt euch die Folgen vorstellen. Die Händler räumten die Brücke und die Gewölbe. Gesindel der schlimmsten Art nistete sich dort ein. Selbst die Polizei wagte sich nicht mehr dorthin.
Sie sind längst nicht mehr bewohnt. Für kurze Zeit hauste dort noch eine besondere Gruppierung. Was die Bebbin in ihrer Unkenntnis für einen Ort teuflischer Kulte hielt, war im Gegenteil ein nicht besonders erfolgreicher und vorübergehender Versuch, die schlechten Schwingungen aus den Örtlichkeiten wegzubeschwören.
Heute werden sie höchstens vom einen oder anderen Geist heimgesucht und von einer Erscheinung mit langen weissen Haaren, langem wallendem Kleid und einem Hang zu einem markerschütternden Schrei.
Ihr werdet verstehen, dass wir von ihr keinen Schnappschuss gemacht haben. Die Bebbin kann euch auch sagen, dass sie heilfroh war, als sie aus diesem dunklen Loch herausgefunden hatte und der Meenzer immer noch da war, so dass sie beide noch im Vollbesitz ihrer geistigen und sonstigen Kräfte geblieben sind und Edinburgh und seine gruselige Vergangenheit ohne gespenstisches Gepäck verlassen konnten.