Abschied vom Aostatal
Liebe Leserin, lieber Leser
Und schon wieder ist es Zeit, von einem sehr eigenen Tal Abschied zu nehmen. Unter der Dusche hat die Bebbin darüber nachgesinnt, wie diese Region am besten zu beschreiben wäre.
Ein Dreiländereck der besonderen Art, beeinflusst durch drei mehr oder weniger mächtige Nachbarn.
Durch die Helvetier zum Beispiel, deren Leibspeise hier ganz eigenartige Formen angenommen hat. Käse in allen Variationen. Von frisch bis reif, sehr reif. Und sehr gerne auch geschmolzen.
In diesem sehr angesagten Lokal bestellte die Bebbin ein sehr spezielles Gericht.
Stellt Euch eine grössere Raclettepfanne vor. Darin Käsefondue und im Fondue schwimmen ein paar Scheiben Wurst. Nicht ganz Salami, nicht ganz Bratwurst. Und dazu Polenta. Was sollen wir sagen? Die Polenta hat sehr gut geschmeckt.
Und dazu empfehlen wir einen kühlen Weisswein. Zum Beispiel von unserem neuen Weinhändler: Grosjean Vins. Versteht uns ja nicht falsch. Das ist natürlich nur rhetorisch gemeint. Auf keinen Fall würden wir den langjährigen Weinbauern und Freund des Meenzers für diese paar edlen Tropfen fallen lassen. Aber nach einer ausgiebigen Degustation sind wir trotzdem mit bescheidenen sechs Flaschen kurz fremdgegangen. Denn die Geschichte war doch zu gut.
Die Familie Grosjean stammt aus Savoyen. Nachdem die Pest das halbe Aostatal dezimiert hatte, beschloss der Herzog von Savoyen, seine Bauern dorthin zu locken. Eine Parzelle Land, gratis, mit der einzigen Pflicht, dieses zu bebauen. Da konnte der Vorfahre nicht nein sagen.
Und so entstand zuerst ein Bauernhof und später der Weinberg. Pest sei Dank. Und die Weine werden sogar in das nicht mehr so grossartige Land verschifft. Der Mann, also seine Nachkommen, haben keine halbe Sache gemacht.
Die Franzosen brachten nicht nur den Wein, sondern auch ausgesuchtes Essen mit.
Und ihre Sprache, die teilweise auch in alter Form gesprochen wird. Doch auch, wenn die Bebbin sich manchmal auf Französisch unterhalten durfte, liegt das Aostatal ganz klar in italienischer Hand. Das merkt man zum Beispiel an der Architektur.
Oder an einem gewissen Sinn fürs Detail.
Oder an der für Nordländer wie die Bebbin und den Meenzer nicht ganz nachvollziehbaren Esskultur. Das Unverständnis ist übrigens gegenseitig. Wie uns eine Einheimische bei einem Glas Wein auf der Piazza erzählte, sei es ihr völlig unverständlich, dass man in Frankreich Fleisch, Gemüse und Pasta auf dem gleichen Teller serviere. Ein kulinarischer Faux-Pas sozusagen. Die Bebbin wagte kaum zu erwähnen, dass dies in der Schweiz auch die Regel sei. Und in allen anderen europäischen Ländern…
Das Aostatal hat auch weitere Ähnlichkeiten mit seinen Nachbarn. Enge Täler, Nadelkurven ohne Ende.
Bergspitzen, die sich immer dann verhüllen, wenn die Bebbin sie für ihre Berichte dringend brauchen würde.
Pässe, die vermutlich nicht mal Hannibal zu dieser Jahreszeit überwunden hätte. Alte Steine aus römischen Zeiten, mindestens so gut konserviert wie das Euch bereits bekannte Murmeltier.
Beim letzten Frühstück mit Blick auf Gipfel, deren Namen uns nichts sagen, fragt der Meenzer seine Bebbin: „Und was würdest du einem Touristen empfehlen?“
Den Croissant zum Beispiel. Himmlisch und nicht mit diesen saharatrockenen, krümeligen Dingern zu vergleichen, die in der Schweiz fast so beliebt sind wie geschmolzener Käse. Aber der Meenzer meinte wohl was anderes.
„Wanderungen“, entgegnet die Bebbin mit einem sehnsüchtigen Blick, „für die Touristen, die eine echte Herausforderung suchen.“ Wie der Meenzer.
„Burgen“, ergänzt dieser, „inklusive alle Ausstellungen über Scherben und Steine aller Jahrhunderte.“ Ihr kennt ja unsere Begeisterung für die Zeiten vor unserer Geburt. Dennoch geben wir euch eine ernst gemeinte Empfehlung mit. Den Kryptoportikus. Nicht zu verpassen.
„Die Suche nach dem schönsten Gipfel?“, fügt die Bebbin nicht ganz ernsthaft hinzu. Vielleicht aber eher im Hochsommer, wenn der Klimawandel die letzte Wolke trockengelegt hat.
Ihr Lieben, nach einer Woche intensiven Austauschs mit Land und Leuten möchten wir euch eigentlich nur Eines empfehlen: Geht und erlebt es selbst.
Wir danken Euch fürs Miterleben, für die vielen lieben Kommentare und sagen: Auf bald, im Oktober!
Eure Bebbin und Meenzer
4 Gedanken zu „Abschied vom Aostatal“
In der alten naheländischen Heimat des Meenzers, in Boos zwischen Bad Kreuznach und Bad Sobernheim, haben sich bei der evangelischen Kirche ebenfalls zwei Kryptoportikus unversehrt erhalten. Ihre Kellerräume werden noch immer von den Gewölben aus der Spätantike abgeschlossen, was außerhalb des Moselgebietes einzigartig ist.
(Der Begriff „Portikus“ ist übrigens nur umgangssprachlich männlichen Geschlechts. Fachsprachlich ist der Begriff weiblich, da es sich dabei um eines der seltenen Feminina der u-Deklination handelt und nicht um ein Maskulinum der o-Deklination. 😉
Herzlichen Dank und deine Reiseberichte haben es in sich, ich möchte am liebsten gleich die Koffer packen und ab ins Aostatal.
Bis zum nächsten Trip, lieben Gruss
Es war wieder einmal fesselnd, bereichernd, erheiternd!
Merci pour tous ces moments multicolores et riches en saveurs. Déjà tôt le matin, j’en ai l‘eau à la bouche…
immer wieder gerne gelesen☺️❤️🙏